Die eigentliche Grösse der elektromotorischen Kraft des Verletzungsstromes beim Nerven

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Abstract

Als ich zum letzten Mal mit A. Samojloff sprach, war es an lässlich des Bostoner internationalen Physiologenkongresses. Ich kannte den von mir hochgeschätzten Kollegen durch viele Jahre, und die Gele genheit, mich mit ihm wissenschaftlich unterhalten zu können, war mir stets ungemein wertvoll. Bei dieser letzten Zusammenkunft fragte ich ihn, ob er meine Studien über die Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwin digkeit im Nerven auf Grund von Vorgängen aJein an der erregten Stelle gelesen habe, speziell meinen letzten diesbezüglichen Artikel im Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie, und fügte hinzu, dass mir seine Meinung wertvoller sei als die manches anderen Kollegen. S a- mojloff gab mir lächelnd zur Antwort, dass er meine Ausführungen wohl gesehen aber nicht studiert habe. Letzteres würde er nicht eher tun, als bis ich es für alle Physiologen leichter machen würde, meinen Darlegungen zu folgen. Im übrigen wollten wir die Angelegenheit disku tieren, falls er auf dem Rückweg von Boston Berlin berühren oder sonst gelegentlich dorthin kommen würde. Die Ausführung dieser Absicht ist leider durch das Schicksal für immer unmöglich gemacht; doch gern komme ich der Aufforderung nach, zu Samojloffs Gedächtnis eine kleine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben, und es ist mir dabei ein Vergnügen, an eine frühere Abhandlung des Verstorbenen anknüpfen zu können. Diese führt den Titel: Ueber die eigentliche elektromotorische Kraft des muskulären Demarkationsstromes (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Königsberg) (unter Hermanns Leitung1) und ist im Jahre 1899 erscheinen. In dieser Arbeit sind auch einige Versuche am Nerven erwähnt, obschon Samojloff im, wesentlichen nur ver suchte, über den Muskel ins Klare zu kommen.

Full Text

Als ich zum letzten Mal mit A. Samojloff sprach, war es an lässlich des Bostoner internationalen Physiologenkongresses. Ich kannte den von mir hochgeschätzten Kollegen durch viele Jahre, und die Gele genheit, mich mit ihm wissenschaftlich unterhalten zu können, war mir stets ungemein wertvoll. Bei dieser letzten Zusammenkunft fragte ich ihn, ob er meine Studien über die Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwin digkeit im Nerven auf Grund von Vorgängen aJein an der erregten Stelle gelesen habe, speziell meinen letzten diesbezüglichen Artikel im Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie, und fügte hinzu, dass mir seine Meinung wertvoller sei als die manches anderen Kollegen. S a- mojloff gab mir lächelnd zur Antwort, dass er meine Ausführungen wohl gesehen aber nicht studiert habe. Letzteres würde er nicht eher tun, als bis ich es für alle Physiologen leichter machen würde, meinen Darlegungen zu folgen. Im übrigen wollten wir die Angelegenheit disku tieren, falls er auf dem Rückweg von Boston Berlin berühren oder sonst gelegentlich dorthin kommen würde. Die Ausführung dieser Absicht ist leider durch das Schicksal für immer unmöglich gemacht; doch gern komme ich der Aufforderung nach, zu Samojloffs Gedächtnis eine kleine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben, und es ist mir dabei ein Vergnügen, an eine frühere Abhandlung des Verstorbenen anknüpfen zu können. Diese führt den Titel: Ueber die eigentliche elektromotorische Kraft des muskulären Demarkationsstromes (Aus dem Physiologischen Institut der Universität Königsberg) (unter Hermanns Leitung1) und ist im Jahre 1899 erscheinen. In dieser Arbeit sind auch einige Versuche am Nerven erwähnt, obschon Samojloff im, wesentlichen nur ver suchte, über den Muskel ins Klare zu kommen.

Meine hier mitzuteilenden theoretischen Überlegungen (Versuche nach dieser Richtung sind früher schon in meinem Institut ausgeführt worden und werden gerade zurzeit noch weiter angestellt) gehen davon aus, dass, wenn der von mir eingeführte Begriff, das Kernhüllenverhält nis,—ich bezeichne dasselbe gewöhnlich mit dem griechischen Buchsta ben у—, seinem Werte nach bekannt ist, die wahre elektromotorische Kraft aus der abgeleiteten maximalen lediglich durch Multiplikation mit 7 4-1 errechnet werden kann. Dass dem so ist, und wie man in ein facher Weise dieses 7-Verhältnis ermitteln kann, will ich in den fol genden Zeilen auseinandersetzen, indem ich dabei soweit wie möglich der Anwendung höherer Mathematik aus dem Wege gehe—im Sinne meines letzten Gespräches mit dem Verstorbenen.

Die Voraussetzung, von der wir ausgehen, ist die, dass wir dem Nerven eine einfache Kernhüllenstruktur beilegen dürfen, wobei es unentschieden bleiben möge, ob der Achsenzylinder als solcher oder die in ihm enthaltenen Fibrillen oder sonst ein longitudinaler Bestandteil den Kern bilden, das «leitende Element» sind. Der Einfachheit halber werde ich den Achsenzylinder als den Kern, markhaltige und Schwan sehe Scheide zusammen als die Hülle bezeichnen. Vorausgesetzt wird ferner, dass an der Grenze von Kern und Hülle diejenigen Polarisationen statt finden, die die elektrotonischen Erscheinungen vermitteln. Wenn ich sage «Polarisationen», so will ich dabei kondensatormässige Ladung einer dünnen Zwischenschicht miteinbegreifen. Der Sitz der elektromotorischen Kraft des Ruhestromes ist nun entweder der Querschnitt, der Schnitt durch den Kern, wenn wir mechanisch den Ruhestrom erzeugen, oder es ist im Sinne der Membrantheorie die Grenzfläche zwischen Kern und Hülle; vielleicht ist auch beides der Fall. Ich untersuche jetzt nur die erste der erwähnten Möglichkeiten, nicht aus Vorliebe für diese Auffas sung, sondern gewissermassen in honorem Samojloffs in seiner Eigenschaft als Schüler Hermanns, und betone, dass es leicht wäre, auch den anderen Fall und beide Fälle gleichfalls zu berücksichtigen.

Indem wir uns auf diè einzelne Faser beschränken, haben wirfol- gendes Schema 1).

 

 

 

Ich denke mir zunächst an der Stelle A einen Querschnitt durch diesen Nerven gelegt. Dann gehen offenbar durch denselben Stromfäden in der Hülle vorn links nach rechts und im Kern von rechts nach links. Hermann setzt voraus, dass die Grenzfläche zwischen Hülle und Kern elektromotorisch, abgesehen von der Polarisierbarkeit, nicht wirksam ist, im Gegensatz zu der Membrantheorie. Die Gesamtheit der Stromfäden, d. h. die gesamte Elektrizitätsmenge, welche also in der Hülle nach rechts und im Kern nach links geht, ist im Anfang grösser und wird immer kleiner und kleiner; in genügender Entfernung vom Querschnitt ist sie praktisch Null. Hier herrscht dann in Kern und Hülle dasselbe Potential. Wenn man die Figur betrachtet, so ist es ja einleuchtend, dass die Spannung positiv und am höchsten unmittelbar links vom Kernquer schnitt, am tiefsten am Querschnitt der Hülle bzw. an der rechten Aus senseite des schraffierten Teiles ist. Wenn wir von den im äussersten rechten, abgestorbenen Teil bestehenden, vom inneren Punkt des Kernquerschnitts in die Hülle übergehenden 2Stromfäden absehen, so setzt sich die elektromotorische Kraft des Demarkationsstromes aus einem Kernteil, der Potentialdifferenz im Kern, bis zu dem Punkt, in welchem die Stromfäden praktisch Null sind, und einem Hüllenteil der äusseren Potentialdifferenz von der links gelegenen Stelle bis zum Querschnitt zusammen. Direkt messen können wir natürlich nur die Potentialdifferenz in der Hülle. Hierbei ist zu bemerken, dass schon eine Entfernung von wenigen Zentimetern die überhaupt erreichbare, maximale Potentialdiffe renz praktisch ergibt. Sehen wir uns nun den Querschnitt A etwas nä her an, so ist es klar, dass die Elektrizitätsmenge, die wir im Kern im Querschnitte. von rechts nach links fliessend mit Hermann annehmen, in der gesamten Quantität ebenso gross sein muss, wie die Elektrizitäts menge, die durch denselben Querschnitt A in umgekehrter Richtung in der Hülle, also von links nach rechts fliesst. Unterscheiden wir die Ströme als Ik- und Ih- Ströme, als Ströme im Kern und Ströme in der Hülle, so muss für jeden Querschnitt A notwendig die Beziehung bestehen

Ik = In

wenn wir, was hier der Fall sein soll, nur die absoluten Stromstärken ins Auge fassen und sie nicht etwa wegen verschiedener Richtung mit verschiedenen Vorzeichen versehen, was in unsere Willkür gegeben ist. Dass Ik =In sein muss, folgt einfach daraus, dass es sich beim Ru hestrom um einen stationären Zustand handelt. Wäre dies nicht der Fall, so müsste der rechts oder links gelegene Teil der Faser in kurzer Zeit zum Funkensprühen geladen sein.

Denken wir uns nun einen zweiten Querschnitt В links von A; dann können wir, wenn er nur hinreichend nahe bei A liegt, den Strom sowohl im Kern als auch in der Hülle gleich gross annehmen. Ausser dem wollen wir voraussetzen, dass die Spannung sowohl im Kern für sich als auch in der Hülle für sich in einem einzelnen Querschnitt А oder В als konstant betrachtet werden darf, eine Annahme, die bei den verschwindenden Querdimensionen der einzelnen Nervenfaser im Verhält nis zu den Längen, die hier in Frage kommen, ohne Bedenken gemacht werden kann3). Die Potentialdifferenz im Kern können wir dann im Querschnitt A als PkA bezeichnen, im Querschnitt В als PkB und analog PhA und Ph Der Strom zwischen den Flächen A und В berechnet sich nun nach dem Ohmschen Gesetz

 

Ik=PkA-PkBWk

und Ih=PhB-PhAWh

 

wobei als und wh der sehr kleine Widerstand zwischen den betrach teten Querschnitten A und В im Kern und in der Hülle bezeichnet wer den möge. Wir können die beiden Gleichungen auch so ausdrücken:

Ik=Potentialdifferenz zwischen A und BWk(Kern)

und Ih=Potentialdifferenz zwischen B und AWh  (Hylle)

Da Ik = Ih ist, so folgt:

Potentialdifferenz ABWk(Kern)= Potentialdifferenz BAWh(Hulle)

oder: Potentialdifferenz AB Kern verhält sich zur Potentialdifferenz BA Hülle wie wk :wh

Nun ist das Verhältnis der Widerstände twk:wh offenbar unabhän gig von der Entfernung der beiden Flächen, denn wenn wir die Entfer nung grösser nehmen, wachsen wk und in demselben Verhältnis. Wir können also auch das Widerstandsverhältnis der Längeneinheiten Kern und Hülle wählen, und das ist das, was ich mit y bezeichne. Setzen wir 7 ein, so bekommen wir also: die Potentialdifferenz im Kern zunächst für eine unendlich kleine Strecke ist y mal so gross wie die Potentialdifferenz für dieselbe Strecke der Hülle. Nun können wir uns eine beliebige, ge gebene Strecke, z. В. Ѵоn 1 cm., in solche kleinen Strecken zerlegen. Für die Summe der Potentialdifferenzen gilt dann derselbe Ausdruck, d. h. die Potentialdifferenz, die wir auf eine Entfernung von mehreren Zentimetern an der Faser aussen messen, ist у mal kleiner als die Po tentialdifferenz, die im Kern in derselben Strecke besteht, oder umge kehrt gesagt: die gesamte, also die maximale Potentialdifferenz im Kern, vom Querschnitt an gerechnet, ist 7 mal grösser als die maximale Po tentialdifferenz, in der Hülle gemessen. Da nun, wie einleitend gezeigt, die wahre elektomotorische Kraft des Demarkationsstromes gleich der Summe dieser beiden Potentialdifferenzen ist, so ist hiermit der Satz er wiesen, dass die wahre elektromotorische Kraft == у+1 mal so gross ist, wie die in der äusseren Hülle abzuleitende Kraft.

Es gibt sehr verschiedene Wege, diesses y zu bestimmen. Ein be sonders interessanter ist der folgende. Man leitet dem Nerven einen po larisierenden Strom zu und misst die gesamte elektromotorische Kraft des An- bzw. Katelektrotonus, die nach aussen von der Elektrode aus ableitbar ist. Man kann dann, da sich die Theorie des Elektrotonus mit genügender Genauigkeit auf nahezu elementare Weise entwickeln lässt, aus der am Nerven angelegten Spannung, aus der Entfernung der Elek troden des polarisierenden Stromes und aus der sogenannten elektrotonischen Konstanten а die Konstante y berechnen. Man hat dann folgende, wesentlich durch elementare Ueberlegung abzuleitende Formel:

 

y=VD-111+al

 

 (als erste Annäherung). Hierbei bedeutet V den halben Wert der elektro motorischen Kraft der angelegten polarisierenden Spannung, gemessen am Nerven, D die gesamte elektromotorische Kraft des Elektrotonus, aueiner Seite, l die halbe Entfernung der beiden polarisierenden Elektro den, a die erwähnte Konstante4).

Ueber die damit erzielten Resultate möchte ich mich hier nicht weiter verbreiten, sondern verweise auf die bereits veröffentlichten Ar beiten5), da neuere Untersuchungen unter Benutzung aller früheren Er fahrungen zurzeit in meinem Institut im Gange sind.

Bezüglich der elektrotonischen. Konstanten a ist zu bemerken, dass der Abfall der Spannung verglichen mit dem von den Elektroden hinrei chend weit entfernten Punkt in einer Exponentialkurve stattfindet, wie es zuerst Weber angegeben hat. Dass dem so sein muss, kann man allerdings nur klar machen, wenn die allereinfachsten Anfangsgründe höherer Mathematik vorausgesetzt werden können. Man kann aber die sen Abfall als experimentelle Tatsache betrachten6) Auch über die Er mittlung dieser Konstante sind neue Versuche in meinem Institut im Lauf..

 

1 Pflüger’s Arch. Bd, 78, S. 38, 1899.

2 Cf. L. Hermann, Handb. d. Physiologie. Bd. 2, Teil. 1, S. 180, 1879

3 Man konnte mit den mittleren Potential werten rechnen,—1. im Kern und 2. in der Hülle; doch ist das eine unnötige Komplikation für die Betrachtung.

4 Eine etwas genauere Formel -1(1-e-2al)

die ich berechnet habe, ist von Keil und Gärtner (Ueber die Bestimmung des Kernhüllenverhältnisses mit Hilfe elektrotonischer Ströme, Beiträge z. Physiol. Bd. 2. S. 209, 1924) mitgeteilt worden. In dieser Formel bedeutet e die Basis des natürlichen Logarithmus.

5 Keil und Gärtner, I. c. 1930 Hentschel, Ueber die Beziehungen der elektromotorischen Kraft elektrotonischer Ströme zu der polarisierenden Ströme; Beiträge z. Physiol. Bd. 3,. S. 289, 1927; ferner die ebenda S. 293 mitgeteilte Literatur. Vergl. ausserdem H. Lullies, Pflüger’s Archiv. Bd. 225, S. 85, 1930.

6 Aus der russischen Literatur vergleiche man namentich die unter Lasareffs Leitung entstandene Arbeit von P.P/Pavlov Ueber Verteilung von elektronischen Stromen im Nerver und in seinem physikalischen Moden J,f.exp Med.H 10/11 34 1926

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М. Кремер

Tierärztlichen Hochschule

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professor, Physiologischen Institut

Germany, Berlin

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